Mobilität

Gespräch mit Verkehrsexperten Andreas Schuster

Wir haben mit Andreas Schuster, SPD-Stadtrat und Bereichsleiter Mobilität bei Green City, über die Verkehrswende in München, Mobilitätskonzepte im Quartier und die Eggarten-Siedlung gesprochen.

Ist der wachsende Verkehr in München noch zu bewältigen oder wie kann die Verkehrswende in Deutschlands Stauhauptstadt gelingen? 

Andreas Schuster: Wenn wir unser heutiges Verkehrsverhalten mit dem heutigen Anteil des motorisierten Individualverkehrs, also dem privat genutzten Auto, einfach in die Zukunft projizieren, dann werden wir spätestens im Jahr 2030 in München einen Dauerstau rund um die Uhr haben. Das kann man sich so vorstellen wie unsere heutigen Spitzenstunden. Nur dass es bis auf wenige Nachtstunden den ganzen Tag so sein könnte.

Deshalb das ehrgeizige Ziel, den Umweltverbund deutlich zu stärken und damit den Fuß- und Radverkehr, den öffentlichen Verkehr und die geteilte Mobilität sowie flexible Mobilitätsangebote auf Abruf – so genannte Mobility on Demand Services. Wenn wir diesen Verkehrsarten konsequent mehr Raum geben, mehr investieren und die Fördermittel von Land und Bund erhöht werden, haben wir eine gute Chance, von der Stauhauptstadt zu einem Mobilitätssystem zu kommen, in dem alle Menschen ihre Mobilitätsbedürfnisse befriedigen können, aber möglichst wenige Wege mit klimaschädlichen und raumgreifenden Verkehrsmitteln zurückgelegt werden.

Die Ziele sind ehrgeizig: Bis 2025 sollen mindestens 80 Prozent des Verkehrs in der Münchner Innenstadt durch abgasfreie Kraftfahrzeuge, den öffentlichen Personennahverkehr sowie den Fuß- und Radverkehr ersetzt werden.1 Das klingt nach einer echten Verkehrswende, die in zwei Jahren umgesetzt werden soll. Da müsste schon ein Wunder geschehen!?

Andreas Schuster: Bis Mitte 2023 müsste wohl ein Wunder geschehen. Die MVG will bis 2030 einen Anteil von 30 Prozent am Münchner Verkehrsmix erreichen. Derzeit sind es 24 Prozent. Der Fußverkehr liegt bei den letzten Zählungen ebenfalls bei 24 Prozent und der Radverkehr bei 18 Prozent, zusammen also bei 66 Prozent. Wenn das Ziel im ÖPNV erreicht werden soll, müssen Fuß- und Radverkehr zusammen um 8 Prozent wachsen. Das Ziel von 30 Prozent bis 2030 halte ich jedoch aufgrund der langen Vorlaufzeiten, insbesondere bei schienengebundenen Verkehrsmitteln wie U-Bahn und Straßenbahn, des Personalmangels, der fehlenden Finanzmittel und der langen Planungsvorläufe für unrealistisch.

Daraus ergibt sich, dass in den nächsten Jahren vor allem Fuß- und Radverkehr sowie Shared Mobility einen hohen Anteil am Verkehrsmix aufholen müssen. Für geteilte Mobilitätsangebote richten wir noch in diesem Jahr über 60 so genannte Mobilitätspunkte ein. Dort können Fahrräder, Lastenräder und Autos ausgeliehen werden, in der Regel mit guter Anbindung an den ÖPNV. Mit unserer Fußverkehrsstrategie verfolgen wir die Ziele der 10-Minuten-Stadt und gestalten unsere Wege barrierefreier und inklusiver. Mit den Beschlüssen zum Radverkehr, insbesondere nach den beiden Bürgerentscheiden Radentscheid München und Altstadt-Radlring, geht es im Radverkehr schneller voran. Dafür haben wir auch neues Personal in den Referaten eingestellt. Trotzdem glaube ich nicht, dass wir das Ziel bis 2025 erreichen werden. Aber es ist wichtig, dass wir jetzt konsequent weitermachen.

Verkehrswende in MÜnchen

An welchen Stellschrauben würden Sie für eine sofortige Verkehrswende drehen?

Andreas Schuster: Das wäre für mich ganz klar der konsequente Ausbau des Radverkehrs, weil er am schnellsten ist. Dann ein Rekrutierungsprogramm für Personal im öffentlichen Verkehr, vor allem für Busfahrerinnen und Busfahrer. Wir müssen auch die Chancen der vernetzten, digitalisierten und geteilten Mobilität voll ausschöpfen. Am wichtigsten aber ist meiner Meinung nach die Verzahnung von Stadt- und Verkehrsplanung. Wenn die Menschen ihre Bedürfnisse im Nahbereich befriedigen können, müssen sie keine weiten Wege zurücklegen. Deshalb ist für mich die Kombination von Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, medizinischer Versorgung, Kultur, Spiel und Freizeit so wichtig. Das sieht man an Stadtteilen wie Haidhausen oder auch Untergiesing. Dort gibt es eine hohe Dichte und Angebote für alle Bedürfnisse des täglichen Lebens.

Welche Rolle spielen Mobilitätskonzepte in bestehenden und neuen Quartieren für die Mobilitätswende?

Andreas Schuster: Sie spielen aus meiner Sicht eine zentrale Rolle. Wie bereits erwähnt, glaube ich, dass es uns gelingen muss, möglichst viele Bedürfnisse des täglichen Lebens in den Quartieren zu befriedigen. Wenn ich durch gute Mobilitätskonzepte Räume zum Verweilen, zum unbeschwerten Spielen schaffen kann, die gleichzeitig für alle Bewohner*innen gut erreichbar sind, dann sind die Menschen nicht darauf angewiesen, weite Wege mit den derzeit oft flächenintensiven und umweltbelastenden Verkehrsmitteln zurückzulegen. Und wenn vieles im Nahbereich erledigt werden kann, stärkt das auch das soziale Miteinander, die gegenseitige Hilfsbereitschaft und beugt Vereinsamung vor, gerade im Alter.

Wie lässt sich Verkehr steuern? Das war auch eine zentrale Frage beim Bau des Prinz-Eugen-Parks. Nach einer Verkehrszählung wurden vor Baubeginn noch 8.800 motorisierte Fahrzeugbewegungen pro Tag in und aus dem Quartier prognostiziert, die Erhebung im vergangenen Jahr ergab 4.500. Das ist eine ermutigende Nachricht. Worin sehen Sie das Erfolgsrezept?

Andreas Schuster: Der Prinz-Eugen-Park ist für mich insofern ein Erfolgsmodell, als dort gerade das gelungen ist, was ich als essentiell für die Verkehrswende ansehe: Die Bedürfnisse der Menschen im Nahumfeld zu adressieren. Zudem haben wir eine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr. Von Beginn an wurde das Gebiet für Nahmobilität, also Fuß- und Radverkehr mitgeplant. Die prognostizierten Zahlen des motorisierten Verkehrs werden bei nahezu allen mir bekannten Entwicklungsgebieten in München deutlich unterschritten. Ich denke, wir müssen hier endlich mit realistischeren, dem aktuellen Mobilitätsverhalten der Menschen entsprechenden Prognosen in die Planungen gehen. Sonst planen und bauen wir überdimensionierte Verkehrsflächen für den Autoverkehr und nehmen uns die Möglichkeit für Aufenthaltsflächen, Stadtgrün, wasserbindende und –speichernde Zonen nach dem Schwammstadtprinzip und Platz für den Umweltverbund. Für den Erfolg des Prinz-Eugen-Parks, aber auch zum Beispiel des Ackermannbogens stehen aus meiner Wahrnehmung auch die genossenschaftlichen Bauprojekte, die oftmals sehr innovativ sind und mit guten Mobilitätskonzepten aufwarten können. Diese haben in der Regel auch einen deutlich geringeren Anteil an Autobesitz und Stellplätzen.

Auch in der Eggarten-Siedlung gibt es Befürchtungen, dass der ohnehin schon starke Verkehr im Norden der Stadt noch einmal massiv zunimmt, wenn mehr etwa 4.400 Menschen zuziehen. Was kann die Eggartensiedlung vom Prinz-Eugen-Park übernehmen oder gar verbessern?

Andreas Schuster: Aus meiner Sicht kann der genossenschaftliche Ansatz übernommen werden, was ja bereits gelungen ist. Ebenso die Ausrichtung auf ein Mobilitätskonzept als konsequente Planungsgrundlage. Auch das konnte im Eggarten bereits etabliert werden. Mit der Eggarten-Charta steht darüber hinaus ein Instrumentarium zur Verfügung, welches es in dieser Dimension noch in keinem anderen Bebauungsgebiet gegeben hat. Hierin sind klar die Bedürfnisse der Menschen, der notwendigen Anpassung an die Klimakrise und die weitere Siedlungsentwicklung geregelt. Aus meiner Sicht eine essentielle Grundlage, um in diesem natursensiblen Gebiet, welches ja auch daher zurecht nicht unumstritten war, zu bauen und zu entwickeln. Ich bin sehr auf die Realisierung der Ziele der Charta gespannt und wie die einzelnen Maßnahmen zum größtmöglichen Erhalt der Biodiversität in der Bauphase greifen werden.

In der Eggarten-Siedlung soll ein reduzierter Stellplatzschlüssel angewendet werden. Dies führte in der Vergangenheit auch in anderen Projekten zur Kritik. Im Domagkpark zeigt sich, dass dies der richtige Weg ist, dort stehen immer wieder Parkplätze leer. Glauben Sie dass dies auch in der Eggarten-Siedlung gelingen kann?

Mobilitätskonzept in der Eggarten-Siedlung
Mobilitätskonzept in der Eggarten-Siedlung

Andreas Schuster: Die Betrachtung des Stellplatzschlüssels ist vielschichtig. Aus meiner Sicht ist es vollkommen richtig, nicht mehr starr mit einem überkommenden Stellplatzschlüssel von ein oder mehr Stellplätzen pro Wohneinheit zu planen. Hierfür gibt es auch einen guten städtischen Leitfaden, der individuelle Bedürfnisse, Konzepte und Voraussetzungen betrachtet und damit einen passenden Schlüssel entwickelt. Ich weiß, dass es immer wieder die Forderung gibt, den Stellplatzschlüssel ganz abzuschaffen, wie das zum Beispiel in Berlin der Fall ist. Ein Gegenargument hierzu wäre, dass dann der Parkdruck im öffentlichen Raum noch mehr zunimmt und die Verpflichtung, den Privatbesitz Auto im privaten Raum unterzubringen, auf die Allgemeinheit abgewälzt wird. Daher ist ein leerer Parkplatzbestand nur eine Kennzahl.

Man muss sich auf den öffentlichen Raum im Quartier und den angrenzenden Quartieren ansehen. Hier stellen sich viele Fragen, die man in der Diskussion um den Stellplatzschlüssel nicht außer Acht lassen darf. Und es müssen viele Stellschrauben ineinandergreifen. Nur, wenn wir den öffentlichen Raum konsequent vor Falschparkenden schützen können und gleichzeitig durch gute Konzepte das eigene Auto für möglichst viele Menschen überflüssig machen, sehe ich einen guten Ansatz, den Stellplatzschlüssel noch weiter zu reduzieren. Ich denke, das jetzige Vorgehen stellt in vielen Fällen einen guten und zur jeweiligen Situation passenden Kompromiss dar. Auch wenn mir wichtig wäre, dass es autofreien Projekten einfacher gemacht werden könnte.

Wie wird sich die Verkehrssituation in München im Jahr 2030 verändert haben? Ihre Vision?

Andreas Schuster: Der Verkehr in München 2030 wird leise, sicherer, inklusiver und weniger hektisch sein. Er wird zu einem großen Teil auf möglichst klimafreundliche Art erfolgen und wenig Platz verbrauchen. Das Wichtigste ist für mich: Die unterschiedlichen Mobilitätsbedürfnisse der Menschen können zunehmend im Nahumfeld erledigt werden. Wir sind der Stadt der kurzen Wege ein gutes Stück näher gekommen. Gute Stadt- und Raumplanung sorgt dafür, dass die Menschen Arbeiten, Freizeit, Versorgung und Einkaufen gut miteinander kombinieren können, ohne weite Strecken zurücklegen zu müssen. Das Nachbarschaftsviertel bietet den Menschen Raum für soziale Begegnung und hat einen hohen Wert für den Alltag. Wir haben eine vernetzte und geteilte Mobilität. Man findet Mobilitätspunkte in jeder Nachbarschaft. Freiwerdende Flächen der jetzigen, platzraubenden Mobilität können wir für Stadtbegrünung nutzen. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag zu den Klimazielen der Stadt. Die Menschen allen Alters finden Räume, die sie sicher und gerne nutzen können.

1 Dieses Ziel wurde aus dem Bürgerentscheid 2017 „Sauber sog i“ übernommen.

Foto: Melanie Staudinger, SPD/Volt-Stadtratsfraktion

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